Nils, Katharina, ebenso wie die Mannschaften habt auch ihr als Schiedsrichter:innen eine Vorbereitung absolviert. Was erwartet ihr von der neuen Spielzeit? Katharina Heinz: Es wird sehr spannend, wie die Umsetzung der neuen Richtlinien im Bankverhalten gelingt. Wir sollen aus dem laufenden Spiel heraus nicht mehr mit den Bänken kommunizieren, sondern die Konzentration komplett auf dem Spielgeschehen […]
Nils, Katharina, ebenso wie die Mannschaften habt auch ihr als Schiedsrichter:innen eine Vorbereitung absolviert. Was erwartet ihr von der neuen Spielzeit?
Katharina Heinz:
Es wird sehr spannend, wie die Umsetzung der neuen Richtlinien im Bankverhalten gelingt. Wir sollen aus dem laufenden Spiel heraus nicht mehr mit den Bänken kommunizieren, sondern die Konzentration komplett auf dem Spielgeschehen haben.
Nils Blümel:
Den Fokus auf das Spiel zu richten, halte ich für sinnvoll. Das Handballspiel ist immer schneller geworden, auch durch die Einführung der Anwurfzone vor zwei Jahren. Wenn wir uns im laufenden Spiel die Zeit nehmen, an der Bank zu stehen, verlieren wir den Anschluss, die Nähe zur Spielsituation. Und dann aus 15, 20 Metern eine Entscheidung zu treffen, wird der Sportart nicht gerecht.
Katharina Heinz:
Das ist definitiv ein Punkt. Wir haben bei unseren Spielen anders als die Kolleg:innen in der 1. Bundesliga der Herren in der Regel keinen Delegierten an der Seite, sondern müssen das Bankgeschehen selbst im Griff haben. Das ist gerade bei einem sehr schnellen, anspruchsvollen Spiel ein Nebenkriegsschauplatz, der schwierig ist.
Nils Blümel:
Es wird unser aller Ziel sein, die Sportart Handball nach außen gut zu repräsentieren. Es gab zuletzt hin und wieder die ein oder anderen Situation, in der beim Bankverhalten die sportliche Schwelle überschritten wurde. Und da wir bei Dyn nahezu ein Rundum-Paket für alle Spiele aus den Bundesligen haben, war das auch im Fernsehen zu sehen. Das ist nicht gut. Außerdem überträgt sich ein schwieriges Bankverhalten auf die Halle und die Spieler:innen, was es für uns im Game-Management schwierig macht.
Katharina Heinz:
Ich hoffe, dass die Neuregelung in Sachen Kommunikation es jetzt für uns alle einfacher macht. Wir gewinnen Zeit, um in Ruhe zu kommunizieren, wenn der Ball nicht im Spiel ist, statt einem Trainer etwas zu erklären, während wir parallel den Anwurf anpfeifen.
Auf den Lehrgängen findet traditionell ein Austausch unter den Schiedsrichtern statt; ohne die Leitungsgremium. Wie ist die Stimmung in euren Kadern?
Nils Blümel:
Ich glaube, ich übertreibe nicht, wenn ich sage: Wir gehen mit guten Voraussetzungen in die Saison. Die Stimmung war in diesem Jahr gut, es gab keine großen Themen, sondern beschränkte sich vor allem auf organisatorische Kleinigkeiten.
Katharina Heinz:
Das stimmt – je nachdem, was anfällt, ist die Stimmung entspannt oder brisant. Wir fragen daher vorher ab, ob jemand ein gravierendes Thema hat, damit wir das im Vorfeld ggf. vorbereiten können.
Nils Blümel:
Vor ein, zwei Jahren wurde beispielsweise von Schiedsrichtern der Wunsch geäußert, dass wir bei Schlüsselszenen und regeltechnisch herausragenden Szenen ein kurzfristiges Update aus der Lehre bekommen, damit wir nicht wochenlang bis zum nächsten regulären Online-Meeting warten müssen. Es gab eine entsprechende Anpassung.
Ihr seht euch zweimal im Jahr auf den Lehrgängen. Wie ist der Kontakt während der Saison?
Nils Blümel:
Wir haben zwei Whats-App-Gruppen – eine kaderinterne und eine mit der Leitung. Wenn ich parallel auf mein Handy gucke, sehe ich auch noch für jedes Vorbereitungsturnier eine eigene Gruppe und da sind alleine heute noch zahlreiche Nachrichten eingegangen. Wir stehen jedoch nicht nur bei WhatsApp im regen Austausch, wir telefonieren auch. Viele denken immer, bei uns kämpft jeder für sich, aber so ist das nicht. Die Kollegialität ist sehr hoch (Katharina nickt).
Ist das ein Punkt, der auch den oft als Einzelkämpfern betrachteten Schiedsrichtern Spaß macht?
Nils Blümel:
Jeder, der auf dem Schiedsrichter-Lehrgang war, weiß, dass es uns Spaß macht. Es ist eigentlich wie bei den Mannschaften: Sie stehen im Konkurrenzkampf, aber trotzdem geben sich nach dem Spiel alle die Hand, sitzen im Kabinengang zusammen und tauschen sich auch privat aus. So ist es bei uns auch. Es gibt keine Missgunst und wenn jemand Hilfe braucht, unterstützt man sich.
Katharina Heinz:
Das gilt auch für uns, wobei es bei uns immer wieder eine rege Durchmischung gibt. Wir haben inzwischen brutal viele junge Schiedsrichter:innen. Ich habe mich auf dem Lehrgang mal umgeschaut und nur gedacht: Es sind nicht mehr so viele Alteingesessene dabei, jetzt gehörst du mit Abstand zu den Ältesten (lacht). Und so saß ich tatsächlich auch mal in der letzte Reihe (beide lachen).
Was hat es damit auf sich?
Nils Blümel:
(schmunzelt) Das ist historisch gewachsen: Diejenigen, die vom Dienstalter ganz frisch dabei sind, sitzen ganz vorne. Wer länger dabei ist, rückt ein Stück hinten – und die, die ganz, ganz lange dabei sind, dürfen ganz hinten sitzen. Ein bisschen wie in der Schule (lacht).
Was gibt es noch für ungeschriebene Regeln?
Katharina Heinz:
Ob es eine ungeschriebene Regel ist, weiß ich nicht, aber die Neulinge dürfen auf dem Halbzeitlehrgang das Entertainment-Programm übernehmen. Diese Saison haben wir einen gemeinsamen Lehrgang – Nils, jetzt bist du auch informiert (lacht).
Nils Blümel:
Auch bei uns haben die Jüngeren die Verantwortung, für einen Kulturbeitrag am Samstagabend zu sorgen – auf freiwilliger Basis natürlich. Da waren schon viele kreative Beiträge dabei, von Puppenspiel über Tanzeinlagen bis zu Hula-Hoop.
In der Öffentlichkeit stehen die Schiedsrichter bei Fehlern, kritischen Entscheidungen und Diskussionen im Fokus. Was beschäftigt euch als Schiedsrichter in Zusammenhang mit der Ausübung eurer Tätigkeit am meisten?
Nils Blümel:
Ich glaube, das kann ich ganz trivial runterbrechen und damit dennoch den Nagel auf den Kopf treffen – ich glaube, alle Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter stört am meisten, wenn sie auf dem Feld falsch entschieden haben. Man denkt immer, uns stört, wenn die Trainer, Spieler oder die Halle mit uns hadern, aber am härtesten mit sich ins Gericht gehen die Referees selbst. Im schlimmsten Fall merkst du während deines Pfiffes, dass es falsch ist, aber du kannst nicht mehr korrigieren. Wir können Hallen und Bänke ausblenden, aber nicht die eigenen Fehler.
Katharina Heinz:
Ich stimme Nils zu – und muss abseits davon sagen: Ich habe größten Respekt vor allen Kollegen, die weiter oben pfeifen, dass sie Beruf, Familie und die Wochenspiele unter einen Hut bekommen – und teilweise auch noch international pfeifen. Das ist wirklich Wahnsinn, was sie dafür leisten müssen.
Nils Blümel:
Der Anteil der Wochentagsspiele ist in den letzten fünf Jahren erheblich angestiegen – und daher gehört diese Belastung auch für euch dazu. Die 2. Bundesliga spielt freitags, die Frauen am Mittwoch.
Kurz zusammengefasst: Was ist aus eurer Sicht der größte Unterschied zwischen den Anforderungen, die an die Schiedsrichter:innen eurer beiden Kader gestellt werden?
Katharina Heinz:
Die Voraussetzungen sind auf dem Papier erst einmal die gleichen: Wir müssen Regeltest, Videotest und Fitnesstests mit den identischen Anforderungen erfüllen. Die mediale Präsenz ist in der 1. Bundesliga der Männer allerdings deutlich höher als bei uns.
Nils Blümel:
Ich würde sagen, die Reisezeiten sind intensiver. Und was die Anforderungen angeht: Ich glaube, auch die Schiedsrichter in der 3. Liga kennen die Regeln genauso gut wie wir und würden die Tests erfüllen. Der entscheidende Punkt ist das Gamemanagement; du musst nicht nur eine Entscheidung nach der anderen treffen, sondern das Spiel leiten.
Was ist der entscheidende Faktor, dass ein Gespann den Aufstieg aus dem Bundesliga- in den Elitekader schafft?
Nils Blümel:
Wenn du die formalen Anforderungen erfüllst, gut pfeifst und auch das Gamemanagment beherrschst, brauchst du immer noch eine gute Saison mit dem notwendigen Quäntchen Glück. Es kann lange alles passen, aber dann gibt es ein Spiel, in dem du als Schiedsrichter einfach nicht gut aussehen kannst – und solche Spiele gibt es, das wissen wir alle – und das eine Spiel macht alles kaputt.
Inwiefern?
Nils Blümel:
Die Leistungsdichte ist im Bundesligakader unheimlich hoch. Wenn du aufsteigen willst, kannst du dir keinen Ausrutscher erlauben. Ein Coaching, in dem es nicht gut läuft, kann immer passieren, aber dann reicht es in der Regel nicht mehr für ganz oben. Du musst wirklich konstant gut sein – und das Glück haben, dass wenn du mal ein schlechtes Spiel haben solltest, mit etwas Glück kein Coach auf der Tribüne sitzt.
Und die Aufwandsentschädigung ist der Unterschied – in der 2. Bundesliga Frauen gibt es einen Bruchteil des Geldes, dass es in der 1. Bundesliga Männer für die Spielleitung gibt.
Nils Blümel:
Das ist ein deutlicher Unterschied, das stimmt. Die Aufwandsentschädigung ist ein wiederkehrendes Thema, wir haben eine Spesenerhöhung mit den Ligaverbänden verhandelt, aber untereinander ist das kein Thema. Wir haben nicht in der Hand, welche Spiele wir pfeifen und können es – außer mit guter Leistung – nicht beeinflussen.
Lasst uns zum Abschluss einen Blick an die Basis werfen, denn während es in der Bundesliga immer genug Schiedsrichter gibt, ist das im Amateurbereich nicht der Fall…
Katharina Heinz:
Dort ist die Situation nicht so entspannt, das ist ganz klar. Es bleiben Spiele unbesetzt oder müssen von einzelnen Schiedsrichtern geleitet werden. Wir haben auch viele Aufhörer, die nach der Corona-Pause nicht mehr angefangen haben, weil sie gemerkt haben, dass es ein Leben ohne Handball gibt.
Nils Blümel:
Ich habe im Juli auf dem DHB-Engagementfestival zwei Vorträge gehalten und es war unheimlich interessant zu sehen, wie viele junge Menschen es gibt, die für das Schiedsrichterwesen brennen. Als Feedback auf meine Vorträge, in denen es um Fairness ging, habe ich immer wieder gehört, dass der Grund für das Aufhören ganz häufig am Umfeld des Spiels liegt. Viele haben gerade in jungen Jahren mit dem Druck, dem Stress und den Unsportlichkeiten insbesondere aus den Zuschauerbereichen ein großes Problem.
Katharina Heinz:
Das ist ein riesiges Problem. Mein Bruder hat auch in der ersten Saison aufgehört, weil er keine Lust drauf hatte, beschimpft und beleidigt zu werden. Der Handball und das Pfeifen machen ihm eigentlich einen riesigen Spaß, aber diese Rufe von außen haben ihn so beschäftigt.
Nils Blümel:
Das stimmt. Wir kriegen einzelne Zwischenrufe auf unserer Ebene nicht mit. Von der ganzen Halle ausgepfiffen zu werden, ist unangenehm, aber es belastet uns persönlich nicht. Das ist im eigenen Handballkreis, wo die Zwischenrufe mit Namen verbunden sind und man die Zuschauer, die über einen Spruch lachen, kennt, viel härter. Deshalb ist es umso wichtiger, wir hatten das Thema eingangs, dass wir im Umgang miteinander unsere Vorbildrolle annehmen.
Katharina Heinz:
Ich habe zuletzt einen Bericht über ein Pilotprojekt gelesen. In diesem Rahmen haben freiwillige Ordner gelbe Karten an die Zuschauer verteilt, wenn sie sich unangemessen dem Schiedsrichter gegenüber verhalten haben – und es hat sich niemand mehr getraut, etwas zu machen, weil plötzlich er im Fokus stand. Ob das jetzt eine gute oder schlechte Methode ist, sei dahingestellt, aber es gibt immer wieder kreative Ansätze und das finde ich richtig.
Was ist eure Verantwortung?
Katharina Heinz:
Wir müssen gerade jungen Schiedsrichtern zeigen, wie es auch aussehen kann. Dafür ist „Breite trifft Spitze“ ein tolles Modell.
Nils Blümel:
Wir müssen die Vorbildfunktion leben. Wenn ich auf dem Spielfeld angegangen werde, muss ich aktiv werden und etwas gegen diese Diffamierung und das unsportliche Verhalten tun. Der Fußball hat lange Jahre neidvoll auf uns geschaut, weil es bei uns keine Rudelbildungen gibt und wir Sanktionsmöglichkeiten hatten, die sie nicht besaßen. Jetzt hat der Fußball auch eine tolle Möglichkeit gefunden, aber im Handball gibt es auch genug Werkzeuge, um einen sportlich fairen Umgang sicherzustellen, aber dafür müssen wir vorangehen.
Wie groß ist euer Respekt vor den Kollegen an der Basis?
Katharina Heinz:
Ich glaube, ich kann für uns alle sprechen, wenn ich sage: Wir zollen allen, die eine Pfeife in der Hand haben, den größten Respekt. Wir haben alle mal an der Basis angefangen, und nur dort lernt man die Grundlagen, die man braucht, um ggf. weiterzukommen. Und während wir für einen Schiedsrichterkreis sprechen, der die obersten vier Ligen abdeckt, halten alle anderen den gesamten Spielbetrieb in Deutschland im Breitensport aufrecht.
Nils Blümel:
Ich kann das nur unterstreichen. Wir kommen auf 30 bis 40 Einsätze pro Saison, doch es gibt Schiedsrichter:innen in den Landesverbänden, die 100 und mehr Spiele im Jahr pfeifen, teilweise mehrere an einem Wochenende hintereinander. Nach oben wollen viele, aber die Kollegen an der Basis legen den Grundstein dafür, dass der Handballsport in seiner Form überhaupt existieren kann. Allergrößten Respekt und Hut ab!
Fotos: Marco Wolf
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