Nicht jeder Verkehrsunfall geht mit einem Blechschaden einher. Doch auch wenn es keine Kollision gibt, kann eine Mithaftung entstehen – nämlich dann, wenn das Verhalten eines Verkehrsteilnehmers den anderen zu einem folgenschweren Ausweichmanöver zwingt. Entscheidend ist dabei der unmittelbare zeitliche und räumliche Zusammenhang des Fahrverhaltens mit dem Unfallgeschehen.
Das Landgericht (LG) Bochum hat am 21. Januar 2025 (AZ: I-11 S 72/24) entschieden, dass eine Autofahrerin trotz fehlender Berührung zur Hälfte für den Sturz eines Radfahrers haftet. Ein Urteil, das die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) erläutert.
Fahrrad versus Auto: Keine Kollision – trotzdem Schadensersatz
Ein Radfahrer war auf einem schmalen Wirtschaftsweg unterwegs, als ihm eine Autofahrerin entgegenkam. Die Straße war offiziell nur für Anlieger freigegeben, doch die Fahrerin nutzte sie dennoch. Der Radfahrer konnte den Pkw schon aus etwa 150 Metern Entfernung sehen. Trotzdem fuhren beide Verkehrsteilnehmer ohne erkennbare Reaktion direkt aufeinander zu. Im letzten Moment bremsten beide – der Radfahrer stürzte bei seinem Bremsmanöver.
Eine Berührung der Fahrzeuge gab es nicht. Der Pkw stand mittig auf dem engen Weg. Trotzdem landete der Fall vor Gericht, weil der Radfahrer Schadensersatz für die bei dem Sturz zerstörte Brille geltend machte.
Haftung zur Hälfte für den Schaden
Das Landgericht Bochum betonte, dass auch ein sogenannter „berührungsloser Unfall“ eine Haftung nach sich ziehen kann. Entscheidend sei, ob das Verhalten eines Fahrzeugführers für den Sturz oder das Ausweichmanöver eines anderen mitursächlich war. Im konkreten Fall sah das Gericht die Betriebsgefahr des Autos sowie ein Fehlverhalten der Fahrerin als haftungsbegründend an. Sie habe sich mit unangepasster Geschwindigkeit und in mittiger Position auf dem engen Weg bewegt. Das verstoße gegen das Sichtfahrgebot und das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme. Die Tatsache, dass sie unberechtigt die Anliegerstraße befuhr, sei hingegen haftungsrechtlich irrelevant, da diese Regelung nicht dem Schutz einzelner Verkehrsteilnehmer, sondern nur der Verkehrslenkung diene.
Auch der Radfahrer trifft eine Mitschuld
Doch auch der Radfahrer wurde nicht aus der Verantwortung entlassen. Das Gericht urteilte, dass er zu schnell unterwegs war und sich ebenfalls nicht an das Sichtfahrgebot gehalten habe. In einer engen Wegsituation dürfe nicht darauf vertraut werden, dass kein Gegenverkehr kommt – insbesondere bei möglichem Anliegerverkehr.
Das Ergebnis: eine Haftungsverteilung von jeweils 50 Prozent. Die Autofahrerin haftet aufgrund der Betriebsgefahr und ihres Verstoßes gegen die Rücksichtspflicht, der Radfahrer wegen seines eigenen erheblichen Verschuldens.
Schadenersatz für kaputte Brille: „neu für alt“
Bei der Berechnung des Schadensersatzes für die zerstörte Brille entschied das Gericht, dass kein voller Ersatz geleistet werden muss. Die alte Brille war bereits drei Jahre alt, die neue hatte eine bessere Sehschärfe. Daher sei ein Abzug von 25 Prozent wegen „neu für alt“ gerechtfertigt.
Source: New feed