Ob Titelkampf oder Kellerduell in der DAIKIN HBL, ob Spitzenspiel oder Abstiegsthriller in der Handball Bundesliga Frauen, ob ein Nachbarschaftsderby in der 3. Liga oder die Finalrunde der Deutschen Jugend-Meisterschaft: Seit 2020 können die Schiedsrichter*innen des Deutschen Handballbundes (DHB) bei ihren Einsätzen auf die Unterstützung der KÜS bauen. Jede*r von ihnen hat in seiner Karriere bereits zahlreiche Spiele geleitet, doch jeder der knapp 300 Unparteiischen des Deutschen Handballbundes hat den einen Einsatz, den er oder sie nie vergessen wird. Dies ist die Geschichte vom besonderen Spiel von Philipp Dinges, der gemeinsam mit Fabian Baumgart dem Elitekader angehört.
Die neue Saison in der DAIKIN HBL war gerade einmal 45 Sekunden alt, als es bereits die erste rote Karte gab. Für Schiedsrichter Philipp Dinges und seinen Gespannpartner Fabian Baumgart war es ein Start von Null auf Hundert, ihre erste Entscheidung nach dem Anpfiff im ersten Pflichtspiel der Saison war gleich eine Disqualifikation.
„Zu Spielbeginn klatschen sich die Spieler erstmal ausgiebig ab und spielen sich auch nochmal entspannt den Ball zu“, beschreibt Dinges. „So ein Spiel geht eigentlich erst nach 25 bis 30 Sekunden los. Und dann sehe ich auf einmal, wie Patrick Wiencek seinen Gegenspieler im Gesicht trifft.“
Teampartner Baumgart nahm die Szene als Feldschiedsrichter ebenfalls wahr, pfiff dreimal und stoppte damit die Zeit. Die beiden Unparteiischen kamen zusammen und berieten sich kurz. „Ich bin zu Fabian hingelaufen und er fragt mich: „Was machen wir? Zwei Minuten?“, erinnert sich Dinges. „Ich habe gesagt: Nein, lass Video nehmen. Das schauen wir uns an.“ Als Torschiedsrichter hatte er die Situation aus einer anderen Perspektive gesehen: „Ich hatte den besseren Blick in die Szene hinein und habe die Wirkung dadurch noch besser erkennen können.“
Gesagt, getan: Nach gerade einmal 45 gespielten Sekunden zogen Baumgart/Dinges den Videobeweis zu Rate. „Ich bin wirklich froh, dass wir die Möglichkeit des Videobeweises haben“, betont Dinges. „Ohne Video nach 45 Sekunden in so einem Spiel direkt eine rote Karte rauszuhauen, wäre extrem schwierig gewesen. Ich weiß nicht, ob wir uns dazu hätten durchringen können.“
Nach Ansicht der Bilder bestand für die beiden Unparteiischen jedoch kein Zweifel und sie disqualifizierten Wiencek. „So etwas hatten wir beide vorher noch nicht erlebt“, stellt Dinges kopfschüttelnd fest. „Wir hatten keine Zeit zum ‚Warmwerden‘, sondern waren direkt mittendrin. Dass die erste Entscheidung in einer neuen Saison direkt eine rote Karte ist, ist ein krasser Einstieg, aber zum Glück war es auch eine richtige Entscheidung.“
Nach der roten Karte verliefen die weiteren 3.555 Sekunden des Spiels in geordneten Bahnen. „Wir waren in dem Moment sofort in der Saison drin, aber wir mussten darauf achten, dass wir in der Progression nicht überziehen“, beschreibt Dinges. „Als Schiedsrichter musst du es nach so einer Entscheidung schaffen, dich selbst zu regulieren, du musst herunterfahren.“ Ähnlich ging es den beiden Unparteiischen in der vergangenen Saison, als sie in einem Spiel drei rote Karten zeigten – davon zwei innerhalb von 15 Sekunden. „Manchmal ist es wirklich verrückt“, konstatiert Dinges kopfschüttelnd.
Die Szene aus dem Auftaktspiel dieser Saison sorgte im Nachgang dennoch für Schlagzeilen, der Clip wurde in den Sozialen Netzwerken tausendfach angesehen. „Beim Verlassen der Halle hatten wir schon unfassbar viele Nachrichten auf dem Handy, das Video lief überall und wir wurden seitdem auch hin und wieder angesprochen: Ihr wart doch die mit der roten Karte nach 45 Sekunden, oder?“, berichtet Dinges. „Wir spüren aber schon, dass durch die Videobeweis die Akzeptanz für die Entscheidung sofort höher war und das zeigt, wie wichtig diese Unterstützung ist.“
Rückblickend bezeichnet Dinges die Szene als eine „Leuchtturmentscheidung für uns“, wie er es nennt. „Wenn eine so wichtige Entscheidung falsch ist, hast du nach dem ersten Spiel schon ein Problem“, fasst er zusammen. „Da die rote Karte aber richtig war, war es ein gelungener Einstieg in die Saison.“
Ein ganz besonderes Spiel war es für Dinges jedoch nicht nur durch den krassen Einstieg, sondern auch aufgrund der Begleitung: Seine Frau saß auf der Tribüne; auch sein früherer Schiedsrichterpartner Daniel Kirsch, mit dem Dinges seinen ersten Bundesligaeinsatz absolvierte, war in der Halle: „Auch für Schiedsrichter ist es schön, wenn sie Unterstützung haben und es bedeutet mir sehr viel.“
Fotocredit: Marco Wolf
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